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gamescom congress: Medienkompetenz ist und bleibt Schlüsselwort

Begleitend zu Europas größter Messe für digitale Spiele fand gestern der gamescom congress statt, der mit kurzen Vorträgen Schlaglichter auf die derzeit wichtigsten Themen im Bereich Games werfen wollte.


Der von der Landesregierung NRW, der Stadt Köln und dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware organisierte Kongress, widmete sich in vier thematischen Blöcken aktuellen und weniger aktuellen Themen rund um digitale Spiele. Die thematischen Blöcke – von den Organisatoren als »Case Studies« bezeichnet – wurden von Begrüßungen, drei Keynotes sowie einer Abschlussdiskussion gerahmt. Insgesamt lief die gesamte Veranstaltung mal wieder auf ein Schlagwort hinaus: Medienkompetenz.


Die Keynotes wurden von Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow, Prof. Dr. Winfred Kaminski sowie Jun.-Prof. Dr. Cristoph Klimmt bestritten.


Müller-Lietzkow konnte relevante Zahlen vorstellen und interessante Trends identifizieren – wie etwa Mobile- und Social-Gaming. Um die Kreativwirtschaft und die Gamesbranche in Deutschland (und insbesondere NRW zu stärken), fordert Müller-Lietzkow u.A. Investitionen in Lehre und Forschung sowie Mut bei der Investition in Wachstumssegmente und Nischen. Im Bereich Serious Gaming sieht er ein mögliches Alleinstellungsmerkmal für die Gamesindustrie in Deutschland, das weiter ausgebaut werden sollte und sich zum echten Qualitätsprodukt weiterentwickeln könnte. Vor dem exemplarischen Hintergrund, dass sich durch staatliche Förderung die Gamesindustrie in Kanada ganz prächtig entwickelt hat, schlägt Müller-Lietzkow ferner ähnliche Vorgehensweisen z.B. in Form von Tax-Break-Modellen auch für Deutschland vor.


Winfred Kaminski stellte in seiner Keynote den technologischen und wirtschaftlichen hard facts das Spielerische zur Seite und rekurrierte u.A. auf Friedrich Schiller und Thomas von Aquin. Spiele jeglicher Art, ob analog oder digital, sind immer Als-Ob-Situationen. Immer schwingt beim Spielen die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit mit. Spiele haben mit Fantasie zu tun und entfalten ihre Schönheit in der Imagination ihrer Spieler. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Öffentlichkeit diese Tatsachen bei jeder Art von Spielen zu akzeptieren scheint, sich nur bei digitalen Spielen etwas schwer tut. Ein Grund dafür könnte in der Bildgewalt vieler Computerspiele liegen.


Kaminski zu Folge sollte man auch vorsichtig mit der Verbindung von Spielen und Lernen sein. Spielerisches Lernen gibt es, da besteht kein Zweifel. Spielen und Lernen bleiben aber trotzdem zwei unterschiedliche Handlungsmuster, die nur bedingt miteinander vereinbar sind, da sie in Unterschiedliche Kontexte gehören und unterschiedliche Voraussetzungen erfordern.


In der dritten Keynote des Tages konnte Cristoph Klimmt wenig überraschend feststellen, dass Computerspiele ein fester Teil der Jugendkultur sind. Gaming als Kulturtechnik ist mittlerweile soweit ausdifferenziert, dass gewissermaßen jede jugendkulturelle Nische ihre Entsprechung in digitalen Spielen findet: Ob Sport, Rockmusik oder Pferdepflege – die Identifikationsmöglichkeiten sind überaus üppig. Der Umgang mit den Spielen ist ebenso verschieden: Es gibt Hardcore- und Casual-Gamer, eSportler und Modder, eine Kultur des Prosumers jeglicher Coleur. Dementsprechend haftet den Games unter Jugendlichen auch nicht mehr das Attribut des Nerdigen an, wie noch vor einigen Jahren. Vielmehr ist Computerspielen cool und lässt sich als Handlungsweise immerzu abrufen. Mit Mobile- und Social-Gaming auf tragbaren Geräten wie dem iPhone oder iPod kann man stets »unter Wasser tauchen« – egal wo und wann. Bei aller Objektivität als Empiriker sieht Klimmt darin auch Gefahren, wenn er unserer Gesellschaft vorsichtig den Hang zum maximalen Hedonismus attestiert. Wenn Spiel und Ernst in einer spielerischen Gesellschaft immer mehr verschwimmen, lässt sich daraus die Forderung nach mehr Verantwortung von Seiten der Games-Industrie, Politik und Pädagogik ableiten, um diesen Tendenzen sinnvoll zu begegnen.


Die erste Case Study des Tages widmete sich dem relativ jungen Phänomen des Social Gaming. Nach dem überwältigenden Erfolg des Vorreiters Zynga, wollen viele andere ein Stück vom Kuchen. FarmVille, Mafia Wars, Seafight und wie sie nicht alle heißen, sind nicht nur gewaltige Spam-Maschinen, sondern auch dicke, fette Cashcows. Nach einer theoretischen Einführung von Frederik Hammes stellte Ibrahim Evsan von United Prototype das neue Spiel Fliplife vor, das mit einer ordentlichen Portion Chuzpe bald an den Start gehen soll.


Case Study II hatte Gefühle und Computerspiele zum Thema. Der Berater Tom Putzki übernahm die theoretische Einführung und wies darauf hin, dass es zwei große Tabus digitaler Spiele gibt: Wir sehen in Computerspielen zwar reihenweise Spielfiguren auf grauenvolle Art sterben; wir erleben Schock, Wut, Angst und Panik. Die emotionale, narrativ unterstützte Anbindung an die Figuren findet dabei aber höchst selten statt. Es gibt nur in Ausnahmefällen einen emotionalen Bezug zum Tod in Computerspielen (in diesem Zusammenhang wird immer und immer wieder die alte Leier des Todes von Aeris in Final Fantasy VII hervorgeholt. Putzki hat FFVII zwar erwähnt, verkniff sich aber zum Glück die Anekdote vom vor der Konsole schluchzenden Rollenspiel-Fan).


Das andere emotionale Tabu sieht Putzki im Bereich der Erotik. Die relativ seltenen pornografischen Games, die es gibt, haben mit Erotik gewiss nichts zu tun. Ansprechende erotische Inhalte in digitalen Spielen gibt es so gut wie nicht. Um ein Beispiel von »guter« Erotik in Computerspielen anzuführen, griff Putzki dann auch ernsthaft auf den ollen Leisure Suit Larry von anno dazumal zurück. Putzkis Ausführungen ließen sich gewiss als Forderung zur Abkehr von pornografischen Inhalten verstehen – und das auf zweierlei Art. Er fordert Games, die die Darstellung »sinnhafter« Gewalt etablieren, anstatt sie gewissermaßen pornografisch als Selbstzweck auszuschlachten. Zum anderen weist er auf die Möglichkeiten hin, die in der Darstellung niveauvoller Erotik in Computerspielen liegen könnten.


Gamedesigner Michael Bhatty wartete nach dieser theoretischen Einführung mit einer recht detaillierten Analyse einzelner Spielsituationen aus Heavy Rain auf. Sein Hauptaugenmerk lag darauf wie das Spiel Emotionen erzeugt. Heavy Rain als Spiel-Film-Hybrid lässt sich gewiss schwer fassen, weshalb Bhattys Ausführungen streckenweise eher filmanalytisch anmuteten: So stellte er fest, dass Heavy Rain mit dem Einsatz von Mimik, Gestik, »lebendigen Augen« und Großaufnahmen auf die Grundlagen des Schauspiels setzt, ohne das gewaltige Design-Problem des Uncanny Valley auch nur zu erwähnen.


Besonders stark und mutig wurde Bhatty in den letzten Minuten. Er stellte fest, dass digitale Spiele eben nicht nur Spiele sind. Ebenso sind digitale Spiele nicht nur so etwas Ähnliches wie Filme. Digitale Spiele sind eine eigene Medienform mit eigenen Regeln und einer eigenen Sprache. Als Anregung schlug Bhatty vor, sich vorzustellen, wie etwa das Leben der Anne Frank in interaktiver Medienform aussehen könnte – gewiss nicht als Shooter aber etwa in der Form von interactive storytelling. Heavy Rain illustriert das Potenzial digitaler Spiele, ernste Themen emotional ansprechend darstellen zu können.


Case Study III war ganz dem eSport gewidmet. Zunächst führte Alexander T. Müller anhand seiner Firma SK Gaming in den professionellen eSport ein. SK Gaming als »Real Madrid des eSport« nimmt SpielerInnen wie etwa die Schellhase-Zwillinge unter Vertrag, stattet sie mit Hard- und Software aus und schickt sie in die Welt, damit sie Turniere gewinnen. SK Gaming ist dabei international recht gut aufgestellt.


Peter Siedlatzek vom eSport-Verein n!faculty e.V. aus Köln fuhr daraufhin mit den Fußball-Vergleichen fort: Er repräsentiere nicht die Königliche sondern eher Schalke. Die Jugendlichen sollen bei ihrem Hobby abgeholt und für andere Dinge interessiert werden. Der Kölner Verein setzt eben ganz auf bodenständige Vereinsarbeit komplett mit Vereinsheim und ehrenamtlicher Beschäftigung: Von den 300 Mitgliedern sind 70 mit Ehrenämtern betraut. Sie lernen allerlei soziale Kompetenzen, kümmern sich selbst um Website und PR und können von der Vereinsarbeit gar für das spätere Berufsleben profitieren. Es geht bei n!faculty eben zu wie bei dem stinknormalen Fußballverein um die Ecke.


Die letzte Case Study hatte die Konvergenz von Fernsehen und TV zum Thema. Marc Ziegler vom Mediencluster NRW stellte sich in der theoretischen Einführung die Frage, welche Impulse digitaler Spiele sich das Fernsehen zu Nutze machen kann. Man müsse crossmediale Synergien nutzen! Als gute Beispiele führte Ziegler u.A. die erste von einem Hollywood-Studio mitproduzierte Machinima-Serie zum vierten Teil von Terminator an (Gibt’s hier bei iTunes und rechts im Frame die erste Episode). Als weiteres Beispiel verwies er auf die BBC-Serie Time Commanders, bei der mit Hilfe der Engine von Rome: Total War historische Schlachten im Fernsehen nachgespielt worden sind.


Im Anschluß daran präsentierte der Geschäftsführer von EA Deutschland, Olaf Coenen, eine eindrucksvolle praktische Anwendung. EAs »Virtual Playbook« ist eine auf den Games der EA Sports Dachmarke basierende Technik, die virtuelle Sportler ins Fernsehstudio holt. Der Effekt ist verblüffend: Ein Sportmoderator bewegt sich zwischen dreidimensionalen Spielfiguren und erklärt komplexe Spielzüge. Dabei hat er anscheinend volle Kontrolle über die Avatare. Das System, das zurzeit in den USA bei ESPN schon ausprobiert wird, soll voll livefähig sein und in naher Zukunft neben Echtzeit-3D gar Live Motion Capturing beherrschen. Wie Olaf Coenen in Marketing-Deutsch ausgedrückt hat: »Virtual Playbook hat das Potenzial, Sportberichterstattung im Fernsehen zu revolutionieren.« Delling und Netzer sehen mit ihrem Touchscreen daneben in der Tat ziemlich alt aus. EA versucht, die Technologie bald ins deutsche Fernsehen zu bringen. Wann es soweit ist, ist nicht bekannt.


Die abschließende von Torsten Zarges moderierte Podiumsdiskussion versammelte folgende Persönlichkeiten: Aus der Politik waren Guido Kahlen, Stadtdirektor der Stadt Köln und Jürgen Schattmann, Referatsleiter des Referats für Kinder- und Jugendschutz zugegen. Die Branche wurde von Nils Holger Henning (Bigpoint), Martin Lorber (EA), Ralf Reichert (Turtle Entertainment) sowie Olaf Wolters (BIU) repräsentiert.


Zunächst ließ man die Trends Revue passieren. Besonders im Social Gaming sahen die Beteiligten große wirtschaftliche Chancen, da sich hier eine Spielform etabliert, die alle Bevölkerungsschichten ansprechen kann. Henning von Bigpoint gab zu bedenken, dass vielen Spielern beim Facebook-Konsum gar nicht bewusst ist, dass sie ein Computerspiel spielen.


Zügig wurde das Gespräch auf das Thema Medienkompetenz gelenkt: »Ob man das Schlagwort überhaupt noch hören könne«, fragte Moderator Zarges. Unaufgeregt und unisono war man sich einig, dass Medienkompetenz ja immer noch der Schlüssel sei, um die Kulturtechnik Gaming gesellschaftlich mit Verantwortung zu begleiten. Nur wenn man sich verantwortungsbewusst um die Inhalte der Spiele kümmert und sowohl Eltern als auch Kindern eine Art Computerspiellesefähigkeit beibringt, können digitale Spiele so richtig Spaß machen und man kann unter Umständen von ihnen lernen.