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»das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel«
Interview mit Kurator Roman Lehnhof über Virtual Brutalism

»Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper«, hat Le Corbusier einst gesagt und die Architektur des 20. Jahrhunderts geprägt wie kein anderer. In verschiedenen Stilen zeigen sich seine Einflüsse. Auch der Béton brut war ganz im Sinne Corbusiers, »wurde der Brutalismus in den Sechziger und Siebziger Jahren integrativer Faktor einer neuen internationalen Tendenz von Urbanität durch Dichte mit der Abkehr von der funktionellen Stadt und ihrer Funktionstrennung [...]«. (Quelle: Brutalismus Symposium, 2012) Bis heute finden sich zahlreiche brutalistische Bauwerke in unseren Städten und auch im virtuellen Raum spielt der Architekturstil eine Rolle. 


Vom 17. bis zum 21. August zeigte die Baustelle Kalk in Köln die Ausstellung Virtual Brutalism. In der Ankündigung dazu hieß es: 


»60 years ago, a provocative architectural style emerged in Europe. Le Corbusier's ›béton brut‹ is usually regarded as the seminal notion of this raw and rugged aesthetic. British architectural critic Reyner Banham adapted the term into ›brutalism‹ in 1956.

In the meantime, construction has extended beyond the realm of concrete and found new ways to challenge taste and perception. VIRTUAL BRUTALISM presents digital architecture, procedural screen art, in-game photography and new modes of rawness which might or might not have been inspired by brutalist architecture.«


Der Kurator Roman Lehnhof hat uns ein paar Fragen beantwortet: 


Bitte stelle Dich kurz vor: was genau machst Du und wie bist Du dazu gekommen?


Ich schreibe über Spiele für das WASD-Bookzine und ScienceGames.de. Ursprünglich komme ich aus dem Musikjournalismus, habe eine Weile für ein Printmagazin namens De:Bug geschrieben (Google hab‘s selig). Tagsüber redigiere ich Lernmedien im IT-Bereich. Wenn dann noch Zeit ist, entwickle ich Ausstellungskonzepte.


»Virtual Brutalism« hieß die Ausstellung, die Du kuratiert hast und die während der Gamescom in der Baustelle Kalk zu sehen war. Bitte beschreibe die Ausstellung kurz für diejenigen, die sie leider verpasst haben.


Die grundlegende Idee war, eine Brücke zu schlagen von brutalistischer Architektur hin zu jüngeren Entwicklungen im Leveldesign von Kunstspielen. Der béton brut, der rohe Beton oder Sichtbeton, steht im Virtuellen nämlich unter ganz anderen gestalterischen Vorzeichen.


Insgesamt haben wir fünf Spiele präsentiert und dabei unterschiedliche Methoden gewählt. Drei liefen auf dem Beamer, eines davon parallel auf einer VR-Brille. Bei »NaissanceE« hingegen bot es sich an, hochauflösende Screenshots zu drucken. Die Architektur ist zu vielfältig, um Besucher stundenlang durch die Levels zu scheuchen. Und »Solitaries« ist ein prozeduraler Bildschirmschoner mit besonderem Seitenverhältnis, perfekt für den Breitbild-Fernseher. Die Initiatorinnen der Baustelle Kalk sind sehr offen für solche Experimente und haben tatkräftig mit angepackt, dafür bin ich sehr dankbar.


Wie ist die Idee für die Ausstellung entstanden? Gab es ein initiales Erlebnis oder eine spezielle, ganz konkrete Inspiration?


2014 bin ich über einen Artikel von Chris Priestman gestolpert, der sich mit brutalistischer Architektur in Games befasste. Etwa zur gleichen Zeit spielte ich »NaissanceE«, das auch eindeutig Einflüsse aus dieser Richtung aufweist. Anfang 2016 erschien wieder ein Artikel zum Thema, dann fiel der Groschen. Ich war bis zuletzt skeptisch, ob sich der Begriff wirklich so weit dehnen lässt, und wollte diese Frage an ein größeres Publikum weiterreichen.


Köln hat selbst einige architektonische Werke im Stil des Brutalismus zu bieten. Hast Du eines besonders gern (oder gar nicht gern)? Wenn ja, warum?


Es gibt hier ein paar hübsche Kirchen von Gottfried Böhm. Manchmal sehen sie aus wie Kristalle, dann wieder sind es ganz vertrackte Winkellandschaften. In Refrath wirken die Wände wie Silhouetten von Spitzdächern – kleine Gotteshäuser im großen. Nur bei St. Gertrud im Agnesviertel hat er‘s übertrieben, der Turm sieht aus wie ein kaputtgespitzter Bleistift.


Hast Du selbst ein Lieblings-Exponat in der Ausstellung gehabt? Gab es ein Werk, das heraus stach oder auf das die Besucher*innen besonders reagiert haben?


»Memory of a Broken Dimension« von Ezra Hanson-White hat viele sehr beeindruckt. Das lag nicht nur am bequemen Sofa, es ist wirklich ein wahnsinnig vielversprechender Prototyp. Das Spiel fühlt sich an wie eine Mischung aus »Portal« , »Antichamber« und »Hunting Anubi«, aber wieder völlig anders. Tatsächlich fanden mehrere Besucher unabhängig voneinander, sowas gehört eigentlich in einen Club.

Ich persönlich fand auch die Beta »singmetosleep« von acatalept sehr ansprechend. Diese Welt hat eine unglaubliche Skala, alles wirkt riesengroß. Es sind narrative Elemente geplant und ich bin sehr gespannt, wie das alles am Ende umgesetzt wird.


Was spielst Du denn selbst gerne? Hast du eine bevorzugte Plattform?


Ich spiele auf dem PC, meine größten Fundgruben sind itch.io und Game Jolt. Auch beim Ludum Dare werden immer wieder innovative Beiträge von Einzelpersonen eingereicht. Vieles davon erreicht mich über unterschiedliche Online-Kuratoren, über die Jahre habe ich mir ein paar Quellen aufgebaut.

Ach ja, mobile Games gibt es auch noch. Ich spiele gern Minesweeper, so eine quelloffene Version. Mein Rekord ist elf Sekunden.


Hast du einen besonderen Tipp, der zum Thema Kunst und Games passt?


Für mein Empfinden gibt es wenig Berührungspunkte mit der etablierten Kunstszene, also weder lokalen Projekträumen noch überregional bekannten Galerien und Museen. Es gibt auch kaum Ausstellungen aktueller Werke in irgendwelchen Off-Spaces. Die Kunstwelt wirkt auf mich wenig interessiert an interaktiven Anwendungen, ausgenommen historische Blickwinkel – »Tetris« im MoMA und sowas.


Was meinst Du, woran das liegt?


Ich tippe auf die Warenform. Man kann ja bei kopierfähigen Werken nur schwerlich als Sammler im engeren Sinn tätig werden, höchstens als Mäzen. Vielleicht ist das auch ganz gut so. Es schließt jedenfalls nicht aus, dass Entwickler von ihrer Arbeit leben können. Der Net-Art-Künstler Rafaël Rozendaal verkauft seit 15 Jahren Domains mit öffentlich zugänglichen Werken, und das ist nur ein möglicher Weg. Ach, über das Thema könnte ich ewig reden.


Vielen Dank!


Zum Weiterlesen:


Bréton brut 

Wikipedia

 

 
 
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Fotos: CC BY 2.0 RL