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Kunst in Computerspielen:
Alte Meister in neuen Welten

Folgender Beitrag wurde uns freundlicherweise von Prof. Hensel von der Hochschule Pforzheim bzw. GEYER M&K Redaktion zur freien Verwendung zur Verfügung gestellt.


Computer- und Konsolenspiele zählen seit zehn Jahren offiziell zur Kultur, nachdem der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen (GAME) als Mitglied in den Deutschen Kulturrat aufgenommen wurde. Doch seit Beginn der Zeitrechnung in »online hours« herrscht eine polarisierende Diskussion über den Zusammenhang zwischen digitaler Unterhaltung, Kunst und Kultur. Prof. Dr. phil. Thomas Hensel, Professor für Kunst- und Designtheorie an der Hochschule Pforzheim, hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und sich auf die Suche nach Kunst in dem Computerspiel »Final Fantasy XIV« begeben, wobei er überraschend fündiger geworden ist, als so mancher ahnen mag.


Die Frage nach Kunst in Computerspielen ist keine neue und die Antworten sind umstritten. Wahrscheinlich genauso umstritten wie eine genaue Definition der Kunst selbst. Prof. Hensel, der an der Hochschule Pforzheim Kunst- und Designtheorie lehrt, meint: »Es war immer schon eine der vornehmsten Aufgaben der Kunst, ihren Betrachterinnen und Betrachtern neue, unbekannte Welten zu eröffnen. Gleichzeitig weckt sie den Wunsch, sich tiefer in diese Welten zu begeben und neue Dimensionen zu betreten.« Kunst zu erleben, sie zu fühlen und zu begreifen, das ermöglichen weltbekannte Stätten wie z.B. die Ruinen von Pompeji. Nicht jedem mag ein Vergleich von Computerspielen und Weltkulturerbestätten nachvollziehbar erscheinen, doch das Eintauchen in eine unbekannte und malerische Welt ist eine eindeutige Gemeinsamkeit. Der visuelle Aspekt der Kunst ist für viele unabdingbar. Besonders Bilder laden zum Eintauchen ein. Prof. Hensel nennt als eindrückliches Beispiel den Impressionismus: »Die als Rundpanorama arrangierten Seerosenbilder von Claude Monet lassen die Betrachter buchstäblich in das gemalte Gartenparadies eintreten.« Für dieses Erlebnis strömen jährlich fast 1 Million Besucher in das Pariser Musée de l’Orangerie.


Des Weiteren stellt Hensel fest: »In unserer Gegenwart haben digitale Medien das Erbe jener Vehikel künstlicher Welten angetreten, die unsere Vorstellungskraft und Gefühle so eindrücklich beflügeln können. An erster Stelle sind hier Computerspiele zu nennen, da sie nicht nur die Fantasie anregen, sondern auch zur Interaktion in fremden Weltenräumen einladen.« Prof. Thomas Hensel begab sich gezielt auf die Suche nach Kunst in virtuellen Welten und ist dabei überraschend fündig geworden.
Unter die Lupe genommen hat er das 2013 publizierte MMORPG (Massively Mutliplayer Online Role-Playing-Game) »Final Fantasy XIV: A Realm Reborn« von Square Enix. Das Ergebnis beinhaltet u.a. Vergleiche unterschiedlicher Künstler, Kunstepochen und Stilrichtungen mit der fiktiven Spielwelt.


In der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden die weltbekannten »Carceri d’invenzione,« eine Serie von 16 Radierungen des italienischen Kupferstechers und Archäologen Giovanni Battista Piranesi, die durch Bühnenbilder angeregte Architekturphantasien abbilden. »In dem Spiel ›Final Fantasy XIV‹ ist die theatralische und monumentale Wirkung dieser Kunstwerke zu spüren, sobald der Spieler sich in die Abwassersysteme unter der Stadt Rabanastre begibt. In den dortigen ›Garamsythe Waterways‹  eröffnet sich die Möglichkeit, in die erfundenen Kerker des Italieners einzutreten,« stellt Hensel fest. Er fügt außerdem hinzu: »Mit dem ›Yol,‹ einem vogelartigen Wesen, erinnert das Spiel außerdem an Albrecht Dürers ›Blaurackenflügel‹ und huldigt dem Naturalismus.« Doch auch neuere Werke gibt es zu entdecken. Im sogenannten »Interdimensional Rift,« einem Raum voll mit fraktaler Geometrie und schwebenden Kapseln, ist eine der bedeutsamsten Architekturvisionen des 20. Jahrhunderts  wiederzuerkennen: die Welt von »Archigram.« Inspiriert von der damaligen Raumfahrt designte die Gruppe britischer Architekten in den 1960er und -70er Jahren eine wegweisende futuristische Avantgarde-Architektur, die aus mobilen, kapselförmigen Elementen besteht, die sich zu sogenannten Plug-in-Cities zusammenfügen lassen.


Die Ästhetik des Spiels präsentiert die enorme Vielfalt der bildenden Künste. Hensel resümiert: »Dieser hochverfeinerte ästhetische Universalismus bringt den Spieler in Berührung mit zahlreichen Epochen und Regionen der Kunstgeschichte.« Zwar bringen Computerspiele die Spieler nicht tatsächlich an andere Orte, doch eine Auseinandersetzung mit Ästhetik und fremden Welten ist nicht zu bestreiten. Bei Spielen, die gemeinsam online gespielt werden, macht außerdem der Kontakt mit Spielern aus anderen Teilen der Welt einen großen Teil des Spielerfolges aus.


Ein weiterer besonders konkreter Bezug zwischen Computerspiel und Kunst ist der Dämon  »Chadarnook.« Das ist ein Dämon, der Besitz von Bildern ergreift, in die er hinein- und heraustreten kann. Prof. Hensel erklärt: »Der Chadarnook verkörpert eine Erzählweise, die mit ästhetischen Grenzen spielt und die Vermischung zweier Erzählebenen erlaubt. So wie der Chadarnook in ein
Gemälde eintreten kann, so kann auch der Spieler in die virtuelle Welt eintreten« – eine Verschmelzung, die für viele Spielende den Zweck, das Ziel und die Erwartung an ein Computerspiel darstellt. Als Experte merkt Hensel an, dass »eine solche Selbstthematisierung normalerweise ein Merkmal ist, das insbesondere künstlerischen Werken zugesprochen wird.« Ein medienreflexives Computerspiel wie »Final Fantasy XIV« wird laut Hensel so zu einem Beleg dessen, was  Medienwissenschaftler die »Phase der verstärkten Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität« nennen. In dieser greife das Medium auf sich selbst zu, setze sich mit seinen Grundlagen und Grammatiken auseinander – und werde zu Kunst.


Bild: Final Fantasy

Text: GEYER M&K Redaktion