Newsgames:
Wenn Spiele ernst sind
Computer- und Konsolenspiele werden in erster Linie gespielt, weil sie Spaß machen. Doch gibt es auch immer mehr Games, die zwar unterhalten, aber keinen Spaß machen. In Newsgames wird der/die Spieler*in mit journalistisch relevanten, ernsten und kritischen Themen konfrontiert und muss oftmals moralische Entscheidungen treffen.
Sozialisationsinstanzen
Digitale Spiele ermöglichen eine enorme Ausschöpfung von Handlungskompetenzen und haben eine besonders große Anziehungskraft vor allem auf junge Spieler*innen. Infolge der visuellen Dynamik von Spielen sind aufgenommene Informationen prägnanter und Gelerntes bleibt umso länger haften.
Spieler*innen wird eine ununterbrochen aktive Rolle zugesprochen. Durch eben diese enorme Forderung nach Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft, die normalerweise als Stresssituation gedeutet werden würde, sind Computerspiele ein besonderes Phänomen zur Vermittlung von Informationen. Computerspiele als Sozialisationsagenten haben durch die besonders hohe Emotionalisierung ein enormes Potenzial einer starken Bindung an die Spielenden, sodass Wissen implizit aufgenommen, weiterverarbeitet und im reellen Leben angewendet werden kann. Spieler*innen ist es möglich, Verhaltensweisen auszuprobieren und zukünftige Handlungen durch vorher entwickelte Prototypen zu praktizieren. Das Experimentieren mit solchen Handlungsmöglichkeiten fördert Schlüsselkompetenzen, die nicht nur innerhalb des Spiels, sondern auch im reellen Leben Verwendung finden. Das Ausprobieren im Spiel ermöglicht es, spezifische Inhalte zu kritischen Themen aufzunehmen und diese aktiv zu verarbeiten. Durch die Kopplung der Inhalte von Computerspielen und des reellen Lebens, wird die Realität der Spieler*innen erweitert und damit verbunden auch eine erhöhte Auseinandersetzung mit der Umwelt.
Rollenangebote
Die Wahl des Avatars und somit der Grad der Verschmelzung mit dem Charakter ist durch viele Einflüsse geprägt. Zum einen sind es die eigenen Vorlieben und die Offenheit gegenüber Neuem, die die Wahl des Avatars beeinflussen, zum anderen aber sind die technischen Möglichkeiten und die Gestaltung ausschlaggebende Kriterien, die zwangsläufig Grenzen für die eigenen kreativen Abbildungen ermöglichen oder dezimieren. Avatare haben einen gewissen Vorbildcharakter und sollen entweder eine adäquate Widerspiegelung der Spielerenden als Aufgabe haben oder ermöglichen, eine fremde Sichtweise einzunehmen. Dieser Prozess der Auswahl einer Rolle im Spiel ist sehr intensiv emotional und verlangt unbewusst eine Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen Fähigkeiten. Avatare als Rollenabbild sind primär Vehikel der Leistung von Spielern und erst sekundär die mehr oder weniger modifizierte Abbildung der Spieler. Die Regelungen innerhalb der Spiele sind für die Wahl und Ausprägungen des Charakters verantwortlich. Handlungsrahmen und -grenzen müssen von Spieler*innen akzeptiert werden, um im Spiel vollkommen in der Rolle des Avatars aufzugehen und Handlungsstrategien zu entwickeln.
Bedeutungsübertragung
Durch das Spielen und die Darstellung werden dem/der Spieler*in erst die inhaltlichen und moralischen Aspekte des Spiels bewusst, die zu einer Zustimmung oder gegebenenfalls zu einer Ablehnung der dargestellten Inhalte führen. Dies lässt sich auf die Abwägung und Deutung der Motive des Spiels mit den eigenen verinnerlichten und sozialisierten Wertvorstellungen zurückführen. Spielmodi werden mit dem eigenen Habitus, den sozialen Rollen und den Lebensthematiken in Beziehung gesetzt und finden so innerhalb des Spiels für die Spieler*innen Bezüge, die so für den jeweiligen Lebenskontext relevant sind. Es werden Metaphern des eigenen Lebens gesucht und somit individuelle Faszinationen hervorgerufen.
Newsgames
Aufgrund der Digitalisierung und der innovativen Entwicklung von Computerspielen gibt es keine puristischen Gamesgenres mehr. Die meisten Spiele sind hybride Zusammenfügungen aus mehreren Spielkategorien und sind durch die Inklusion weiterer Spielmodi weder statisch noch feststehend. »Newsgames« zeigen besondere Effizienz und Effektivität in der Vermittlung von Wissen, da hier durch journalistisches Vorgehen Informationen von aktuell relevanten, kritischen und vor allem politischen Themen impliziert werden. Hier werden durch digital aufbereitete rhetorische Mittel Konstruktionen an die Spieler*innen weitergegeben, die reelle Gegenstände fiktiv darstellen. Die sehr vereinfachte grafische und auditive Darstellung lässt den Spielenden seine volle Aufmerksamkeit auf die Inhalte des Spiels lenken.
»Newsgames« sind universell anwendbar und meist mithilfe des Adobe Flashplayers abzuspielen, sodass jede/r Spieler*in Zugang zum Spiel haben kann. Die Spiele sind auf keiner Ebene der Spielmodi komplex, sodass nach bereits kurzer Zeit das Verständnis für das Game gewährleistet wird. Die Spieldauer ist kurz, aber die Intensität der Inhalte umso stärker. Das Besondere an Newsgames ist nicht der Spaß, sondern das Ziel, die Spieler*innen durch die monoton und eintönig dargestellten Spielinhalte mit einem unguten Gefühl zu entlassen. Dieses Ziel ist deshalb so wichtig, weil durch die gewählten Themen eine hohe Emotionalisierung erfahren wird, die die Spieler*innen dazu bringen soll, starke Meinungen zum Thema zu bilden, wie es nach dem Konsum von anderen journalistischen Medien geschehen würde. So wird gleichzeitig Wissen aufgenommen und der/die Spieler*in gegenüber schwierigen in der Gesellschaft verankerten Themen sensibilisiert. Beispiele für Spiele, die gesellschaftlich relevante Themen ansprechen, wären das Spiel »My Cotton Picking Life«, welches die Bedingungen von harter körperlicher Kinderarbeit im Ausland darstellt, »This War of Mine«, das die Spieler*innen in die Rolle von Zivilist*innen in einer vom Bürgerkrieg gegeißelten Stadt versetzt oder »No Male Heroes«, in dem Sexismus thematisiert wird. Weitere Beispiel sind »Outcasted«, in dem der/die Spieler*in in die Rolle eines Obdachlosen versetzt wird und »Papers, Please«, welches migrationsspezifische Vorgänge thematisiert.
Letzteres weist durchgehend eine für den Journalismus kritisch überspitzte Zunge auf. Auch die Darstellungsweise und die auditive Ebene zeigen eine besonders auffällige Vereinfachung auf, sodass Migrant*innen teilweise nicht wirklich identifiziert werden können. So kann sich der/die Spieler*in vollkommen der Thematisierung von Migrationsdarstellung widmen. Durch die Forderung nach moralischem Handeln, oder eher durch die Forderung nach dem Verlust von Moralität, wird den Spielenden erst wirklich bewusst, wie relevant das Thema der Migration ist, da die Spieler*innen nun selbst in einer verzwickten Situation steckten und sich zwischen Handlungsalternativen entscheiden müssen. Anders als bei Spielen die unterhalten sollen, sind die Tätigkeiten und der Aufbau des Spiels sehr monoton. Auch das typische »Happy End« ist nicht zu erkennen. Das Game hat 20 verschiedene Enden, die anhand der Fähigkeiten der Spieler*innen festgemacht werden. Eine Möglichkeit ist es, dass die Angehörigen des Kontrolleuers, also des/der Spielenden, aufgrund von Mangel an Medikamenten und Lebensmitteln sterben. Dies könnte der Realität entsprechen und es wird keine Scheu davor genommen, dies auch so zu präsentieren. Das Spiel dauert nur kurz an, ist zugleich aber sehr nervenzerreißend, da die Spieler*innen gezwungen sind, moralische Überzeugungen abzulegen. Diese hohe Emotionalisierung durch das »Newsgame« sensibilisiert den/die Spieler*in mithilfe von überspitzter Darstellung gegenüber dem Thema Migration und lässt den Spieler neues Wissen erwerben.
Weiterführende Links:
newsgaming.de
kein inselthema! das newsgame »no male heroes« thematisiert sexismus in games
Von der Interaktivität - Teil 2: Newsgames - datenjournalist.de
Nachrichten zum Spielen - Newsgames - spielbar.de
Mehr als nur Spielspaß - WDR5.de
Kleine FAQ-Liste Newsgames - marcus-boesch.de
Newsgames - Journalismus zum Spielen - training.dw.de
Newsgames - Der Journalismus der Zukunft - reset.org
Literatur:
Kyriakidis, Nikolas. (2005): Fun, Anyone? Jugendliche Sozialisation und die Faszinationskraft von Videound Computerspielen. Bochum: Europäischer Universitätsverlag GmbH.
Bogost, Ian/Ferrari, Simon/Schweizer, Bobby (2010): Newsgames: journalism at play. Massachusetts: The MIT Press.
Bilder: Spieleratgeber NRW, No Male Heroes
via: Spieleratgeber NRW