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digital. sozial. marginal?
Literatur und Computerspiel in der digitalen Gesellschaft

25.—27. Juni 2015, Westfälische Wilhelms-Universität Münster


Die projektierte Tagung interessiert sich für den Status Quo digitaler Literatur(en) in der Gegenwart. Dabei sind die beiden folgenden Fragen erkenntnisleitend: Weisen ›digitale Literaturen‹ gegenüber ›analogen Literaturen‹ strukturell ein gesteigertes Potenzial in Bezug auf soziale Relevanz auf? (Weil etwa ›die Gesellschaft‹ selbst vom Digitalisierungsdiskurs durchzogen ist?) Darauf aufbauend: Lässt sich das Feld der Computerspiele als der Ort identifizieren, in dem die (historisch in den 1990ern formulierten) Anforderungen an ›digitale Literaturen‹ derzeit eingelöst werden?


Die sogenannte ›Kessler-Debatte‹, die Anfang 2014 in den deutschsprachigen Feuilletons geführt wurde, hat die Frage nach Rolle und Funktion literarischer Gesellschaftsbezüge erneut inhaltlich und strukturell kaum innovativ beantwortet. Wie Peer Trilcke in seiner Analyse zur Debatte aufgedeckt hat, offenbarte sich hier vor allem, nach welchen traditionell orientierten Werten, Praktiken und Erwartungen das literarische Feld an seinem wahrnehmbarsten Pol in Deutschland noch heute funktioniert. Vor allem sticht dabei mit Trilcke ein Merkmal heraus, nämlich die radikale »printmediale Verdrängung des Digitalen«, da die Debatte »wesentlich prä-digital« geführt worden sei.


Ist dieser Ausschluss des Digitalitäts-Diskurses aus der Relevanz-Frage nun aber eine strategisch-konservative Marginalisierung oder ein plausibles Symptom gegenüber tatsächlich marginalen Randerscheinungen der Literatur? Die mit dem Web 2.0 assoziierten digitalen Versprechen und Probleme (Demokratisierung, Interaktivität, Heterogenität, Transparenz vs. Beliebigkeit, Trivialität, Unübersichtlichkeit, Überwachung) sind in allen gesellschaftlichen Bereichen zentrale Elemente des Handelns und der Kommunikation geworden, spielen aber im literarischen Feld immer noch eine untergeordnete Rolle.

Ein Feld der Kulturproduktion, in dem sich hingegen solche Entwicklungen und die damit verbundenen Kulturtechniken momentan stark artikulieren, ist das der Computerspiele. Möglicherweise werden gerade hier die zentralen Ansprüche an Literatur im ›digitalen Zeitalter‹ in die Praxis umgesetzt, den Bezug auf die gesellschaftliche Realität eingeschlossen.


Die Tagung tritt vor diesem Hintergrund für eine Neurelationierung, Theoretisierung und Operationalisierung ›digitaler Literatur(en)‹ ein. Dabei soll nach Gemeinsamkeiten, Unterschieden aber vor allem Konvergenzen der – lediglich heuristisch getrennten – Felder ›Literatur‹, ›Computerspiel‹ und ›Gesellschaft‹ gefragt werden, die theoretisch analysiert oder an Beispielen expliziert werden können. Die drei Ebenen (1) Ästhetik, (2) Produktions- und Distributionszusammenhänge sowie (3) Rezeptionsweisen, journalistische und wissenschaftliche Praktiken sollen der Tagung dabei als Matrix dienen, um theoretische und praktisch denkbare Formen und Potentiale digitaler Literaturen ausloten zu können. Zu denken wäre beispielsweise an folgende Problem- und Fragenkomplexe:


(1) Welche Indizien gibt es, dass das, was vor 15 Jahren von ›digitaler Literatur‹ als Hypertext, Hyperfiction und ergodic literature erwartet wurde, derzeit auf ästhetischer Ebene von Computerspielen eingelöst zu werden scheint? Inwieweit bedienen sich Computerspiele dabei auch ›genuin literarischer‹ Techniken? Wo finden sich umgekehrt in der Printliteratur Spuren von gamification, seriellem und transmedialem Erzählen? Wo liegen die Grenzen des angestrebten Vergleiches?


(2) Lassen sich die Ausdifferenzierungsmechanismen des literarischen Feldes kulturhistorisch mit der Entwicklung des Feldes der Computerspiele in der Gegenwart vergleichen? Welche Entwicklungen artikulieren sich etwa in Kämpfen und Aushandlungen über die eigene Stellung wie #Gamergate, #sosehengameraus, die Indie-Game-›Bewegung‹, die Games-as-art-Debatte und das Aufkommen von Serious Games? Wie werden die Konzepte ›Gesellschaftsbezug‹ oder ›Autonomiestatus‹ hier inszeniert und verhandelt?


Wie wirken sich analoge und digitale Medienformate auf die Entwicklung von Verlagslandschaft, Literaturmarkt, Autorschaft etc. aus? Welchen Status hat ausschließlich digital manifeste Literatur wie Blogs, ›Twitteratur‹ im Feld? Wie lassen sich Versuche von Schriftstellern, ihre Rezipienten oder andere AutorInnen am Schreibprozess zu beteiligen, hier einordnen?


(3) Können in den populären Rezeptionsweisen, journalistischen und wissenschaftlichen Praktiken Marginalisierungsmechaniken des klassischen Feuilletons gegenüber dem Digitalisierungsdiskurs kultursoziologisch beschrieben oder kulturhistorisch begründet werden? Inwiefern ändern sich die Formen der Literaturkritik in Relation zur Spielekritik, die ihrerseits dominiert wird von dezentralen, pluralen und heterogenen Anschlusskommunikationen. Wo sind die Orte dieser dezentralen Bewertungspraxis in beiden Feldern und welche kulturelle Bedeutung kommt ihnen zu?


Für die Keynotevorträge konnten Dr. Thomas Ernst (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Rolf F. Nohr (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig) gewonnen werden. Außerdem wird es eine Abendveranstaltung mit Eric Jarosinski alias @NEINQuarterly geben. Darüber hinaus ist die Einbindung des für den Deutschen Computerspielpreis 2015 nominierten digitalen Spieltisches »Spiel des Friedens« im LWL Museum für Kunst und Kultur geplant.


Text: digilit.de