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Smart New World

5. April—10. August 2014, Kunsthalle Düsseldorf


Die Wahrheit ist: Der Industriekapitalismus wandelt sich zum digitalen Kapitalismus. Das ändert die Lage.[1] Der Binär-Code regiert die Welt. Der informations- und kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­ni­sche Um­bruch re­vo­lu­tio­niert Wirt­schaft und Ge­sell­schaft.[2] Was heißt es, ein In­di­vi­du­um in der In­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft zu sein? Denn ei­ne In­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft ist im­mer auch ei­ne Über­wa­chungs­ge­sell­schaft. Nicht die In­for­ma­ti­on bringt die Über­wa­chung her­vor, son­dern die Über­wa­chung die In­for­ma­ti­on: So­bald mensch­li­che Äu­ße­run­gen und Re­gun­gen quan­ti­fi­zier­bar wer­den, wer­den sie auf­ge­zeich­net, um ir­gend­wo et­was öko­no­misch, bü­ro­kra­tisch oder ideo­lo­gisch zu op­ti­mie­ren.[3]
 
Spä­tes­tens seit Ed­ward Snow­den die breit­flä­chi­ge Über­wa­chung des US-Ge­heim­diens­tes auf­ge­deckt hat, ist für die Post-Pri­va­cy-Den­ker klar: Die Pri­vat­sphä­re ist tot, die NSA hat le­dig­lich noch ih­ren Stem­pel dar­un­ter­ge­setzt.[4] Leis­tungs­fä­hi­ge Com­pu­ter wis­sen manch­mal mehr über uns als wir sel­ber. Die Spei­cher­ka­pa­zi­tät die­ser Sys­te­me wächst je­des Jahr kon­ti­nu­ier­lich um das Zehn­fa­che. Es kommt so weit, dass man nichts Ver­bo­te­nes ge­tan ha­ben muss; es reicht, dass man je­man­dem ir­gend­wann ver­däch­tig vor­kommt, selbst wenn es sich da­bei um ei­nen Irr­tum han­delt, und dann kön­nen sie das Sys­tem nut­zen, um in die Ver­gan­gen­heit zu­rück­zu­schau­en und je­de Ent­schei­dung zu über­prü­fen, die ir­gend­wann ge­trof­fen hat, je­den Freund, mit dem man ein­mal et­was dis­ku­tiert hat, und sie kön­nen ei­nen auf die­ser Grund­la­ge an­grei­fen, um aus ei­nem un­schul­di­gen Le­ben ir­gend­wie ei­nen Ver­dacht zu kon­stru­ie­ren und je­der­mann als Tä­ter dar­zu­stel­len.[5] In der Zu­kunft der mo­der­nen Kriegs­füh­rung, zu­min­dest dar­in sind sich die meis­ten Ex­per­ten ei­nig, wer­den drei Buch­sta­ben ei­ne ent­schei­den­de Rol­le spie­len: NCW für Net­work Cen­tric War­fa­re. Da­hin­ter ver­ber­gen sich Netz­wer­ke, die Ein­hei­ten un­ter­ein­an­der und mit ih­ren Kom­man­deu­ren ver­bin­den – und ih­nen da­mit die Mög­lich­keit zur schnel­len, fle­xi­blen und asym­me­tri­schen Kriegs­füh­rung bie­ten. Das Ziel ist da­bei klar for­mu­liert: In­for­ma­ti­ons­über­le­gen­heit über den Feind.[6]
 

Die Be­zeich­nung »Big Da­ta«, als ein Be­griff aus dem Wirt­schafts­jar­gon und mehr noch als Be­schwö­rung ei­nes kom­men­den Zu­sam­men­bruchs, ist schnell lang­wei­lig ge­wor­den. Doch die enor­me Aus­wei­tung der Band­brei­te und Tie­fe von In­for­ma­tio­nen über un­ser Ver­hal­ten, die rou­ti­ne­mä­ßig er­fasst wer­den, und die neu­en Ana­ly­se­mög­lich­kei­ten, die da­durch ent­ste­hen, las­sen sich nicht leug­nen. Ei­ner Schät­zung zu­fol­ge wer­den der­zeit mehr als 98 Pro­zent der welt­wei­ten In­for­ma­tio­nen di­gi­tal ge­spei­chert, und die­ses Da­ten­vo­lu­men hat sich seit 2007 ver­vier­facht. Ein gro­ßer Teil die­ser Da­ten wird von ge­wöhn­li­chen Men­schen am Ar­beits­platz und zu Hau­se er­zeugt, in­dem sie E-Mails ver­schi­cken, im In­ter­net sur­fen, sich in so­zia­len Netz­wer­ken be­we­gen, an Crowd­sour­cing-Pro­jek­ten ar­bei­ten und vie­les mehr – und in­dem sie dies tun, ha­ben sie un­wis­sent­lich da­zu bei­ge­tra­gen, ein groß­ar­ti­ges neu­es ge­sell­schaft­li­ches Pro­jekt zu star­ten. Wir be­fin­den uns in­mit­ten ei­nes gro­ßen In­fra­struk­tur­pro­jekts, das in ge­wis­ser Hin­sicht de­nen der Ver­gan­gen­heit – von den rö­mi­schen Aquä­duk­ten bis zur En­cy­clopédie der Auf­klä­rung – gleich­kommt.[7] Das di­gi­ta­le Spie­gel­bild des Ge­gen­warts­men­schen ist in Hun­der­te Ein­zel­tei­le zer­split­tert.[8]


Das Wis­sen im In­ter­net ist dy­na­misch. Es ist flüch­tig. Es ist vo­la­til. Es än­dert je­den Tag sei­ne Ge­stalt. Wir wis­sen we­nig über sei­ne Quel­len, über die da­hin­ter­ste­hen­den In­ter­es­sen und sei­ne Glaub­wür­dig­keit.[9] Die Fol­ge ist ei­ne zu­neh­men­de Co­py-and-pas­te-Kul­tur oh­ne ech­te An­eig­nung des In­halts.[10] In­for­ma­tio­nen wol­len gra­tis sein. Gleich­zei­tig wol­len In­for­ma­tio­nen teu­er sein. In­for­ma­tio­nen wol­len gra­tis sein, weil es so bil­lig ge­wor­den ist, sie zu ver­brei­ten, zu ko­pie­ren und neu zu­sam­men­zu­stel­len – zu bil­lig, um mess­bar zu sein. Sie wol­len teu­er sein, weil sie für den Emp­fän­ger un­er­mess­lich wert­voll sein kön­nen. Die­se Span­nung wird sich nicht auf­lö­sen.[11]


Im Fo­kus der Aus­stel­lung Smart New World steht der grund­le­gen­de, die Ge­sell­schaft ra­di­kal ver­än­dern­de Pro­zess der Di­gi­ta­li­sie­rung – die Auf­lö­sung und Über­füh­rung ana­lo­ger In­for­ma­tio­nen in di­gi­ta­le Codes zum Zweck ih­rer Spei­che­rung und Wei­ter­ver­ar­bei­tung. Die ein­ge­la­de­nen Künst­le­rin­nen und Künst­ler nut­zen die ra­san­ten Ent­wick­lun­gen der di­gi­ta­len Tech­no­lo­gie nicht nur als In­spi­ra­ti­on für ih­re Bild­wel­ten, son­dern re­flek­tie­ren vor al­lem de­ren kul­tu­rel­le, ge­sell­schaft­li­che und po­li­ti­sche Di­men­si­on.


Scharf­sin­nig, kri­tisch und auch hu­mor­voll wid­men sich die un­ter­schied­li­chen Ar­bei­ten den Mög­lich­kei­ten, Vi­sio­nen und Ge­fah­ren der Di­gi­ta­li­sie­rung. Da­bei wird die staat­li­che und öko­no­mi­sche Zen­sur, die ei­nen An­griff auf de­mo­kra­ti­sche Wis­sens­pro­duk­ti­on und die Pri­vat­sphä­re je­des Ein­zel­nen be­deu­tet ge­nau­so in Au­gen­schein ge­nom­men, wie die Aus­wir­kun­gen des In­ter­nets auf un­se­re Denk- und Wis­sens­struk­tu­ren. Al­le Wer­ke ver­bin­det ihr in­ves­ti­ga­ti­ves Po­ten­zi­al.


Die In­ter­na­tio­nal Necro­nau­ti­cal So­cie­ty (INS), ein neo­avant­gar­dis­ti­sches, streng hier­ar­chisch or­ga­ni­sier­tes Netz­werk von Künst­lern, Schrift­stel­lern und Phi­lo­so­phen, hat ein kom­ple­xes Ein­lass­ver­fah­ren für die Aus­stel­lung ent­wi­ckelt, bei dem je­der Be­su­cher mit sei­ner Un­ter­schrift ei­nen Ver­brau­cher­ver­trag auf Ba­sis der phi­lo­so­phi­schen Dok­trin der INS ab­schlie­ßen muss. Die Un­ter­zeich­nung die­ser Er­klä­rung, die auf den Be­din­gun­gen der di­gi­tal-ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­gen­wart ba­siert, ist un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für den Be­such der Aus­stel­lung. [...]


[1] www.​spiegel.​de/​spiegel/​print/​d-14838490.​html

[2] http://​www.​fes.​de/​aktuell/​documents%202013/​130215_​Digitaler_​Kapitalismus.​pdf

[3] http://irights.info/eine-informationsgesellschaft-ist-immer-eine-uberwachungsgesellschaft

[4] http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Die-PostPrivacyBewegung/story/18211611?track

 [5] http://www.washingtonsblog.com/2013/06/top-spying-experts-even-good-people-should-oppose-spying-because-if-someone-in-government-takes-a-dislike-to-you-the-surveillance-can-be-used-to-frame-you.html

[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/armeen-der-zukunft-technologien-und-taktik-fuer-den-krieg-von-morgen-a-846443.html

[7] http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2013/12/theyre-watching-you-at-work/354681/

[8] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/identitaet-im-netz-das-digitale-ich-liegt-in-scherben-a-567899.html

[9] http://www.julius-leber-forum.de/projekte/digitale-oeffentlichkeit/2012/06-wissen-der-welt.html?np_all=1

[10] http://www.zeit.de/studium/hochschule/2011-05/lehre-google

[11] http://www.librarianoffortune.com/librarian_of_fortune/2011/08/information-wants-to-be-free-or-expensive.html [letzte Zugriffe: 4- März 2014]


Kuratiert von Elodie Evers und Magdalena Holzhey

 

 
Text: Kunsthalle Düsseldorf
Bild: Quadriennale Düsseldorf 2014